Brevet oder RTF?

Autor: Christian Winkgen

Die meisten werden im Verein schon mal die eine oder andere RTF gefahren haben. Schöne Strecken, das Fahren in Gruppen und die regelmäßigen Kontroll- und Verpflegungs-Stopps machen das zu einer sehr angenehmen Art, sich auf dem Rad mit Gleichgesinnten zu bewegen. Daneben gibt es noch die Brevets. Woher kommen die und was ist der Unterschied?

Wie RTFs sind Brevets zunächst ausdrücklich keine Rennen. Es gibt lediglich eine Maximalzeit für jede Kontrolle, um die Dauer der Fahrt zu begrenzen und eine Mindestzeit, um den Renn-Charakter zu nehmen. Entstanden sind Brevets aus dem alle vier Jahre ausgetragenen Radmarathon Paris-Brest-Paris (PBP) mit 1200 km, der bis 1931 noch ein Rennformat hatte. Die kürzeren Brevets von 200, 300, 400 und 600 km dienen dabei als Vorbereitung und Qualifikation zur Teilnahme an PBP.

Was sind genau die Unterschiede zur RTF? Jeder Fahrer kann damit seinen Körper und sein Material stufenweise erproben, ohne sich gleich mit zu ambitionierten Strecken zu übernehmen. Brevets richten sich an Jedermann und sind unabhängig von einer Vereinszugehörigkeit. Sie kommen mit einem Minimum an Organisation aus: Meist reicht ein gemeinsamer Startpunkt (Sportplatz, manchmal auch Bäckerei oder Tankstelle) und ein Ziel sowie die Tracks (für GPS) und/oder eine Routenbeschreibung (Liste mit Abbiegehinweisen) es gibt keine Beschilderung, jeder Teilnehmer muss sich selbst orientieren. Kontrollen sind meist Bäckereien, Tankstellen, freie Kontrollen (beliebiges Geschäft in einem Ort) bzw. Kontrollfragen (zum Beispiel: Was steht auf Schild XY?)

Brevets sind offen für alle rein muskelbetriebenen Fahrzeuge, seien es Rennräder, Mountainbikes, Liegeräder oder Velomobile Die Fahrer von Brevets werden Randonneure genannt, genauer sogar “Audax Randonneurs”, was so viel wie “wagemutiger Wanderer” bedeutet. Das Selbstverständnis dieser Gattung Radsportler ist das Absolvieren langer Distanzen auf dem Rad ohne fremde Hilfe und ohne Wettkampf.

Es herrscht viel Kollegialität und Teamgeist. Sieht man einen Mitfahrer am Rand, erkundigt man sich kurz, ob er Hilfe braucht. Oft finden sich spontan Gruppen von gleich starken Fahrern, die sich dann bis zur nächsten Kontrolle oder zum Ziel gegenseitig unterstützen und motivieren.

Kürzere Brevets von 200 km können meist noch mit einem Rennrad bestritten werden. Ab 300 km kommt man außer im Sommer meist in die Nacht und braucht gutes Licht. Darum werden bei längeren Distanzen meist Randonneur-Räder verwendet, die sehr Rennrad-ähnlich sind, aber über Nabendynamo, Licht oder sogar Schutzbleche und kleine Gepäckträger verfügen.

Ab 400 km wird nicht nur die Dunkelheit, sondern auch der Schlaf schon ein Thema. Auch an richtige (Wechsel-) Kleidung muss hier gedacht werden, wenn die Temperaturen durch Nacht, Höhe oder Küstennähe deutlich unter die Tageswerte sinken oder gar Niederschlag eintritt.

Wo gibt und wann gibt es Brevets und wie kann ich daran teilnehmen? In Deutschland findet man eine Übersicht bei den Audax Randonneurs Allemagne (ARA). Die nächsten Startorte sind Essen und Niederrhein (der ehemalige Startort Wuppertal scheidet leider vorerst aus).

Zur Teilnahme reicht meist die Registrierung einige Wochen vorher und das Überweisen eines geringen Kostenbeitrags vor dem Start. Wenige Tage vor dem Start gibt es meist per Mail eine Routenbeschreibung und GPS-Tracks und am Startort dann die gedruckte Brevet-Karte zum Abstempeln. RTF-Punkte gibt es dagegen nicht. Auf Wunsch bekommt man als Finisher am Ende des Jahres eine Medaille für jedes gefahrene Brevet.

Zum Autor:
Ich bin Quereinsteiger und wurde gegen 2006 durch einen Bericht zu PBP auf das Brevet fahren aufmerksam. Auf 200er und 300er Brevets mit Brompton und Moulton habe ich den Respekt vor langen Strecken „erfahren“. Damals noch auf dem Aufrecht-Rad habe ich vor wenigen Jahren mit Liegerad und Velomobil das Thema Brevets wieder aufgenommen und dieses Jahr meinen ersten 400er erfolgreich absolviert.
Dadurch motiviert habe ich mich sogleich für das ebenfalls alle vier Jahre vom Audax Club Schleswig-Holstein organisierte Superbrevet HBK(H) (Hamburg-Berlin-Köln-Hamburg) mit 1500 km angemeldet, das ich kürzlich mit dem Velomobil bestritten habe.
Während das Velomobil auf den flachen Etappen gerade bei Gegenwind natürlich Vorteile hat, habe ich mit meinen etwa 130 kg Systemgewicht (100 kg Fahrer + 24 kg Fahrzeug + Gepäck) bei den insgesamt gut 10.000 hm besonders in der Mittagshitze schon zu kämpfen gehabt.
Die größte Herausforderung über das gut 6 Tage laufenden Superbrevet war jedoch der Schlafentzug bzw. die auftretende Müdigkeit nach einigen Etappen. Auf den etwa 101 Stunden Bruttozeit habe ich etwa 63 Stunden fahrend verbracht und 27 Stunden pausierend (Stopps, Zwischenkontrollen, Essen, Schlafen etc.)
(cw)