Genau diese eine Gruppe habe ich verpasst. Bei fast jeder anderen Attacke war ich dabei. Denn das war mein großes Ziel in diesem Jahr. Ich wollte vor heimischem Publikum, beim Rennen meines RC Musketier ganz weit vorne landen und in die B-Klasse aufsteigen. Aber genau diese eine Gruppe habe ich verpasst. Niedergeschlagen rolle ich über die Ziellinie, voller Gewissheit, dass ich alle enttäuscht habe. 2010 im Juli war das. Und es war mein letztes C-Klasse Rennen. Bis gestern. Nach sieben Jahren habe ich mich entschieden wieder eine Lizenz zu bestellen. Das Trauma ist überwunden und die Ziele sind andere.
Ich möchte niemandem etwas beweisen. Lediglich Spaß haben. Wieder dieses Gefühl haben mich zu verausgaben und doch immer noch Reserven zu haben. Das Gefühl haben noch zu können und meinen Kontrahenten die Schmerzen anzusehen, Prämien gewinnen, abgehängt werden, mich vom Feld tragen lassen.
Rund um das Thönnissen-Center am gestrigen 20.August 2017 war hier mein Einstieg. Meine Form ist eigentlich nicht wirklich vorhanden. Ein paar Kilos habe ich zu viel auf den Rippen und ein paar Kilometer zu wenig in den Beinen. Aber ich habe mir gedacht, dass ich ja schlimmstenfalls abgehängt werde – wahrscheinlich sogar abgehängt werde. Am Start kam dann die Aufregung (Lena behauptet, dass diese bereits letzten Dienstag unerträglich war – so ein Quatsch!).
Da stehen die ganzen schlanken, durchtrainierten, eingeölten Rennfahrer mit Hightech-Maschinen, Einteilern, Aerohelmen und Wattmessgeräten. Insgesamt ungefähr 100. Ein Riesenfeld in Zeiten, in denen der Radrennsport immer noch zu kämpfen hat. Ich war mir ziemlich sicher, dass das ein kurzes Rennen für mich wird. 30 Runden á 2 km sollten absolviert werden und meine Vorsätze hießen:
“Immer nur die nächste Gerade überstehen”
“Nur nach vorne fahren, wenn das Feld langsam wird”
“Lutschen, lutschen, lutschen”
Mit dem Startschuss wurde attackiert. Ich hatte kein Tacho am Rad, aber es war schnell. Und als hätte ich nie mit dem Rennsport aufgehört, fügte ich mich in diesen Bienenschwarm, hatte keine Probleme dabei meine Positionen zu behaupten, habe Lücken gesehen und erfahren, die keinem anderen auffielen und schwebte durch das wild wabernde Fahrerfeld.
Nach fünf Runden machte ich mir noch Sorgen, ob ich dieses Tempo durchhalte, nach 15 Runden war mir klar, dass ich es schaffe. Von da an überlegte ich mir, wie ich den Schlusssprint angehen möchte. Die Zielgerade in Kleve ist elendig lang, leicht ansteigend und mit Wind von vorne. Deshalb war mein Vorsatz an etwa 30. Position auf die Zielgerade einzubiegen. Bereits zwei Runden vor Schluss war die Nervosität merklich zu spüren. Es wurde gerempelt, gepöbelt und geschoben. Alle wollten weit vorne auf die Zielgerade. Ich hielt mich zurück. Und auf der Zielgeraden schob ich mich Stück für Stück nach vorne, umkämpfte meine Position und merkte wie der ein oder andere zu früh vorne war und nun einging wie eine Blüte unter der Saharasonne. Auch bei mir wurden die Beine schwer, ich war nicht mehr in der Lage aus dem Sattel zu gehen. Aber ich habe das für mich unmögliche erreicht. Fünfzehn Fahrer wurden gewertet und ich bin tatsächlich 15. geworden.
Jetzt habe ich Blut geleckt.
(dp)